15
Mrz
2024
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Fotografen im Nebel

Morgendämmerung in Quản Bạ, und unser kleines Fotografenkarussell schnurrt bereits leise vor Aufregung. Die letzten zwei Tage waren ein Paradies der Stille – gezeichnet nur von den leisen Gesprächen unserer Kameras. Kein Quaken, kein Rauschen, nur das gelegentliche, aber bedeutsame Klicken.

„Der Weg ist das Ziel“, besagt ja ein altes Klischee Sprichwort. Nie schien es zutreffender als auf unserer heutigen Fahrt von Quản Bạ nach Đồng Văn. Die Fahrt, die üblicherweise 3,5 Stunden beansprucht, dehnte sich auf sechs Stunden aus. Der Grund? Eine schier endlose Serie an Halts – ohne zu übertreiben, gefühlt 12.367 Mal.

Kaum hatten wir Quản Bạ hinter uns gelassen, lockte uns schon bald der erste Fotostopp. Nur 20 Minuten nach der Abfahrt, doch wer zählt schon die Minuten, wenn die Schönheit Vietnams ruft? Wir wurden begrüßt mit nebelverhangenen Bergen, ein Anblick, der jede Kamera zum Singen bringt. Bald folgte der unvermeidliche Pipi-Stopp, kombiniert mit dem Kauf von Balsam gegen Muskelschmerzen und Tee, – die kleinen Freuden des Reisens, die sich nahtlos in unsere Erlebnisse einflochten.

Die Fahrt führte uns durch Landschaften, die einem das Herz aufgehen lassen. Die Berge der Hà Giang Region, gehüllt in einen ewigen Nebel, boten uns ein Panorama, das seinesgleichen sucht. Jeder Halt, und sei er auch für die banalsten Gründe, wurde zu einer Gelegenheit, diesen Anblick festzuhalten. „Müssen fotografieren“, wurde zum Mantra des Tages. Als ich die fast mystische Landschaft durch mein Objektiv festhielt, fühlte ich mich wie in einem lebendigen Traum. Der Nebel spielte mit den Konturen der Berge, so dass jede Szene, die ich einfangen wollte, sich kurz darauf bereits verwandelt hatte. Es war eine eindringliche Lektion in Vergänglichkeit und Einzigartigkeit – jeder Moment ist flüchtig und unwiederholbar.

Als der Hunger sich bemerkbar machte, fanden wir uns auf einem lokalen Markt wieder. Die Begegnung mit dem stolzen Besitzer einer Garküche war eine weitere Facette dieser unvergesslichen Reise. Sein Stolz, uns sein Reich zu zeigen und uns teilhaben zu lassen, war ansteckend. Ich stellte mir vor, wie er abends seiner Familie von den „Langnasen“ erzählen würde, die bei ihm gegessen und gelacht hatten.

Mit jeder Kurve auf unserem Weg begann eine neue Geschichte. Die Vorstellung, wie viel Mühe es wohl gekostet haben muss, diese Pfade zu bauen, und die Tatsache, dass Menschen in ihren Dörfern an ihnen lebten und arbeiteten, war kaum vorstellbar. Diese Straßen waren nicht nur Verbindungen von A nach B, sondern Lebensadern, die Gemeinschaften zusammenhielten. 

Die Hà Giang Region zeigte sich so von einer ganz anderen Seite als Bắc Hà, mit weniger Reisfeldern und mehr Gestein, aber nicht weniger atemberaubend. Kurvenreiche Straßen, steile Anstiege und Abfahrten forderten unser Fahrzeug heraus, aber der Anblick, der sich uns jedes Mal bot, war jede Mühe wert.

Trotz kleinerer und größerer Wehwehchen – von Erkältungen bis hin zur gefürchteten Männergrippe – fand sich unsere Gruppe in einem Zustand seltsamer Euphorie wieder. Vielleicht lag es an der frischen Bergluft oder am gemeinsamen Leid, aber heute waren wir gesprächiger als sonst. Die Dynamik in unserer Gruppe, trotz physischer Herausforderungen, war beeindruckend. Die Reise in so enger Gemeinschaft erfordert doch eine besondere Art der Offenheit und Harmonie. Jeder brachte sich ein, auch wenn die Krankheit ihm oder ihr zu schaffen machte. Es war ein stiller Konsens, dass jeder trotz allem dabei sein wollte. Diese Verbundenheit machte jede Anstrengung leichter.

Während wir Đồng Văn näherkamen, schwankte meine Stimmung zwischen „Ich will nie wieder weg hier“ und „Ich vermisse mein Bett“. Und meinen Hund. Vor allem meinen Hund. Die anfänglichen Schwierigkeiten, mich in der Gruppe zu öffnen und meine kreativen Werke zu schätzen, sind einem Gefühl der Zugehörigkeit gewichen. Die Angst, nicht zu genügen, wurde von der Einsicht abgelöst, dass jeder Beitrag wertvoll ist. Gleichzeitig sehne ich mich nach der Rückkehr, nach meinem Hund, der daheim auf mich wartet – ein Zeichen dafür, dass Heimat doch dort ist, wo das Herz Ruhe findet.

In Đồng Văn angekommen, tauchten wir ein in die Welt der Fotografie. Ein Slot über Bildsprache mit Größen wie August Sander und Henri Cartier-Bresson inspirierte nicht nur, sondern erinnerte uns daran, warum wir alle hier sind: um zu sehen, zu fühlen und festzuhalten. Fotografie ist viel mehr als nur das Einfrieren eines Moments. Sie ist eine Art, die Welt zu sehen, zu verstehen und letztendlich mit ihr zu interagieren.

Der Abend brachte leckeres Essen, einen Spaziergang durch die kleine quirlige Stadt und die süße Versuchung von gekochten Reismehlkügelchen mit Nüssen. Während sich einige schon ins Hotel zurückzogen, blieb der Rest, um eine lokale Party zu erleben – mit Antje in der Rolle der Tanzkönigin.

Mein Fazit: Es geht nicht darum, aus der Komfortzone zu fliehen, sondern darum, sie zu erweitern. Man lernt, die Welt mit anderen Augen zu sehen – und das nicht nur durch die Linse. Man wird demütiger, dankbarer und lernt, den Moment zu schätzen. Und vielleicht, nur vielleicht, findet man unterwegs ein Stück von sich selbst.

 

Adnana Musanovic