14
Mrz
2017
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Eingemauert

Ich atme auf als die Häuser am Straßenrand kleiner und weniger werden. Endlich haben meine Augen die Gelegenheit sich auszuruhen zu entspannen. Alles was sie sehen ist die Ferne, Reisfelder und ein paar Autos.  Ich kann wieder denken, muss nicht ständig nach dem Verkehr schauen (Kunststück, denn ich sitze im Auto ;-)).  Ich freue mich auf die Berge: weit schauen, sehen wie klein man selber doch ist. Das bedeutet für mich Freiheit und alles ein wenig in eine andere Perspektive rücken. In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich selber in mir unglaublich gefangen bin.

Unsere erste Kaffeepause ist in einem kleinen Café mit einem kleinen Dancefloor direkt vor der Toilette. Die Lichtmaschine ist noch an. Ich versuche mir vorzustellen welche Party hier wohl gefeiert wurde. Nach einem warmen Orangensaft oder Kaffee geht es weiter.
Wir fahren durch kleine Dörfer, beobachten Menschen, blicken in die Weite und reden, lachen als wären wir schon seit Ewigkeiten unterwegs. Plötzlich gibt es einen dumpfen Knall. Ich sehe wie ein Mopedfahrer mit der Fahrradtür kollidiert. Unser Fahrer Houng reagiert unmittelbar und springt zur ersten Hilfe aus der Tür.  Ziemlich schnell bildet sich eine Menschentraube um den Verletzten und unserem Van. Es wird erste Hilfe geleistet und in Gemeinschaftsarbeit erarbeitet wie sich denn nun im Detail der Unfall ereignet hat. Wir erfahren von den Dorfbewohnern, dass der Mopedfahrer wohl Alkohol getrunken hatte. Nach und Nach treffen unterschiedlich uniformierte Männer ein. Es wird ausgemessen, rekonstruiert wie der Unfall stattgefunden hat und angeregt diskutiert, immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Polizisten sind nicht davon überzeugt, dass  Huong vorschriftsmässig gefahren ist und so  muss er erstmal vor Ort bleiben. Wir steigen aus und laufen an der Strasse ein Stück weiter um nicht zu viel Zeit zu verlieren. Wir möchten noch zu einer Teeplantage auf dem Berg. Bald sammeln uns Ly, Heiko und ein neuer Fahrer uns mit einem anderen Van an der Strasse wieder ein. Huong darf erstmal nicht weiterfahren, der Van ist beschlagnahmt bis die Polizei die Ermittlungen abgeschlossen hat. Wann das so genau sein wird, weiss niemand. Und so fahren wir höher auf den Berg und halten verspätet beim Mittag.
Nach dem Mittag verschwinden wir im Nebel. Nebel von allen Seiten: links, rechts, oben und unten. Alles wirkt nun mystisch und fast bedrohlich, aber dennoch irgendwie tröstend.  Wie eine Decke werden wir eingehüllt. Ich laufe allein die Strasse hinunter und durch die Plantage. Dabei fotografiere ich vor allem Landschaft. Auch wenn es in meiner Klammer um Menschen geht, so fällt mir das momentan doch unglaublich schwer. Es ist als hätte ich eine Mauer vor mir. Ich versuche zu drücken um sie einzureissen, aber es passiert nichts. Ein paar Mal versuche ich auf Einheimische zuzugehen und scheitere kläglich. Angespannt überrenne ich sie und kann mich nicht verständlich machen.  Ich möchte gern schnell aus der Situation schnell wieder raus: von der To-Do Liste abhaken. Frust macht sich in mir breit. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das so schwer fällt. Aber mein Kopf ist wie leergefegt, wenn ich jemanden ansprechen soll. „Was soll ich sagen? Derjenige versteh doch gar nicht was ich sage, ist das dann nicht etwas sinnfrei?“ Im Hinterkopf höre ich die Stimme meiner Oma „Melanie, geh der Person nicht auf die Nerven!“ Und so laufe ich alleine ins Nichts.
Etwas geknickt treffe ich die anderen am Bus. Dort lädt uns noch ein Dorfbewohner zum Tee ein. Stolz zeigt er uns seine Möbel und erzählt uns, dass der Tisch 100.000-300.00 Dollar kostet. Die Herstellung dauert 8 Jahre. Mich beeindruckt, dass er nicht an dem Geld interessiert ist und die Möbel daher nicht verkauft. In Deutschland undenkbar.
Den Tag lassen wir entspannt bei dem einen oder anderen Gin Tonic an der Hotelbar ausklingen, begleitet von Steffens Klavierspiel. Dabei wird mir auch liebevoll der Kopf gewaschen und mich gleichzeitig mit Worten in den Arm genommen. „Ich bin zu kontrolliert.“ Ja, das ist etwas was ich mir über die letzten Jahre erfolgreich antrainiert habe. Zu oft bin ich angeeckt, zu oft missverstanden, zu oft verletzt.
Für den morgigen Tag nehme ich mir vor, einen Foto-freien Tag einzulegen und mich lediglich an den ersten Kontakt ran zutasten, ohne den Druck tolle Fotos machen zu müssen.
Text: Melanie Schwochow
Fotos: Steffen Böttcher, Melanie Schwochow, Tobias Löhr
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