6
Apr
2017
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Grenzerfahrungen

Wir sind nun den zweiten Tag in Dien Bien Phu – ich schaue sicherheitshalber noch einmal in den Kalender. Wir sind nun knapp eine Woche unterwegs und Zeit und Raum sind kaum greifbar – es gibt so viel zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken, zu fühlen … Kopf und Herz füllen sich mit immer mehr Eindrücken und Gefühlen, die von außen zu uns dringen und gleichzeitig auch von unserer Reisegruppe kommen. Wir rutschen immer enger zusammen und jeder öffnet sich immer mehr. Bei allen kann man schon nach dieser kurzen Zeit Entwicklungen beobachten – fotografisch und persönlich.

Die ursprünglich für diesen Morgen geplante Fahrt auf einen Berg mit potentieller Sonnenaufgangsromantik fällt aus und so machen sich Katrin, Rainer und Aurel morgens auf den Weg zum Kriegsdenkmal, um dort den Sonnenaufgang zu beobachten. 384 Stufen sind um halb sechs schon ein wirkliche Herausforderung (vor allem, wenn man kurz vor dem Ende der unendlichen Stufen feststellt, dass der Kameraakku noch im Hotel liegt 😉 ). Und auch wenn es keinen Sonnenaufgang zu bewundern gibt, freuen sich die drei Frühaufsteher über die Aussicht und die Begegnungen.

Für mich gehr es dann um kurz nach sechs mit Katrin und Rainer zum täglichen Markt der Provinzhauptstadt mit ca. 70.000 Einwohnern. Wir haben in den vergangen Tagen keine weiteren Langnasen gesehen und so sind wir auch auf diesem Markt wieder eine Attraktion. Die uns bekannte Intimsphäre wird freundlich-neugierig übergangen, wir werden angefasst, es wird verglichen, die Arme werden gestreichelt und gedrückt und mit den eigenen verglichen. Heute wurden auch noch Brust und Po begutachtet. Nach einer ersten Irritation kann ich auch darüber lachen, denn es ist ein liebevolle Neugier, die die Menschen antreibt. Man kann ihnen nicht wirklich böse sein.

Der Markt bietet noch weitere skurrile Erfahrungen, die mir persönlich am frühen Morgen nicht so leicht fielen. Neben den unzähligen Verkaufsständen für Obst, Gemüse und Kräuter werden auch Tiere angeboten, die bei uns entweder nicht auf den Teller kommen oder die als Delikatessen gelten. Ich habe Katrin und Rainer alleine in die „Fleischstrasse“ des Marktes laufen lassen, denn der tote Hund auf dem ersten Stand ließ mich direkt umkehren. Es ist unsere Konditionierung, bestimmte Tiere zu essen und andere nicht. Hier in Vietnam gibt es diese Konditionierung nicht, wie wir später auf dem Markt sehen werden. Ziegen, Hunde, Katzen, Hühner, Schweine, Rinder,Heuschrecken, Frösche, Krebse, Fische – hier werden alle Tiere gegessen und auch alle „Bestandsteile“ werden auf dem Markt verkauft. Ich kann mich zumindest nicht erinnern, in der Metzgerei meines Vertrauens jemals einen kompletten Tierschädel gesehen zu haben.

Nach dem Frühstück machen wir uns in Richtung der laotischen Grenze auf, um eine unerschlossene Höhle zu erforschen. Wie so häufig, ist auch hier der Weg schon ein großes Stück des Ziels. Die Landschaft ist atemberaubend – wir könnten alle paar Meter anhalten. Wir fahren eine schmale Brücke, über die unser Bulli so gerade passt – unser Fahrer hat mal wieder ein gutes Auge bewiesen.

Um die Höhle zu erreichen, müssen wir erst mal einen „Berg“ erklimmen. Ein wunderschöner Weg, wäre da nicht meine Höhenangst. Doch die Truppe kennt mein Problem inzwischen und alle helfen mir, den Weg nach oben sicher zu schaffen. In der Höhle herrschen angenehme Temperaturen und durch unsere Kopflampen, die uns ein wenig wie Minions aussehen lassen, können wir sie sicheren Fußes erkunden. Wir probieren ein paar Langzeitaufnahmen und genießen die angenehme Kühle der Höhle.

Im anschließenden Blitzworkshop auf dem Plateau vor der Höhle lernen wir noch Blitzen mit einfachen Mitteln und machen uns dann an den Abstieg. Diesen Abstieg hatte ich die ganze Zeit verdrängt, denn ein Geländer oder feste Stufen gibt es nicht – rechts der Berg und links der Abgrund. Leichte Panik macht sich bei mir breit. Doch Heiko hatte mir zwischenzeitlich einen stabilen Stock organisiert und gemeinsam mit Hauke hat er mich auch sicher wieder nach unten gebracht.

Ich bin stolz, nicht schon vorher gekniffen zu haben – stolz, es geschafft zu haben – stolz, mit einer so tollen Truppe unterwegs zu sein, die mich auf wunderbare Weise unterstützt – stolz, meine Komfortzone verlassen zu haben – stolz, an meine Grenzen gegangen zu sein und diese wieder ein wenig verschoben zu haben. Und auch wenn man es unter den Schweißperlen nicht so wirklich sehen konnte, mir standen am Ende des Weges die Tränen in den Augen – vor Glück. Ich konnte loslassen, vertrauen und Hilfe annehmen. Abenteuer Vietnam eben!

Auf dem Rückweg haben wir noch ein Dorf besucht und das sorgte für allgemeine Glückseligkeit. Zum einen durch die liebevollen Begegnungen zum anderen durch den Jungen mit dem Wasserbüffel im Gegenlicht vor idyllischer Kulisse. Kein Regisseur hätte es besser inszenieren können.

Der nächste Tag führt uns nach Moc Chau. Die lange Anreise wird von allen als kurzweilig empfunden. Wir machten einige Fotostopps und Kaffeepausen und freuen uns beim Anblick der süßen bunten Wohncontainer in malerischer Umgebung auf drei Nächte an einem Ort und etwas Ruhe, um das Erlebte zu verarbeiten und zu reflektieren.

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